Leben ohne Anerkennung

Von Dominik Baur · · 1999/09

Seit acht Jahren gibt es die unabhängige Republik Somaliland – auch wenn fast keiner davon weiß. Denn die internationale Gemeinschaft erkennt den kleinen Staat am Horn von Afrika nicht an.

Bis heute hat sich die politische Lage in Somaliland als erstaunlich stabil erwiesen. Anders als in Somalia haben die Clans im Nordwesten der vom Bürgerkrieg erschütterten Region Frieden geschlossen. Aber die Isolation Somalilands könnte auf Dauer die erreichte Stabilität gefährden, befürchten westliche DiplomatInnen.

Der wichtigste Rohstoff des Landes läuft in der Hauptstadt Hargeisa auf der Straße herum. Somaliland lebt von seinen Ziegen.

Das friedliche Treiben in der Hauptstadt kann aber nicht über die Not hinwegtäuschen, in der sich die kleine unabhängige Republik im Nordwesten Somalias nach wie vor befindet. Überall erinnern zerbombte Häuser an den Bürgerkrieg, der erst Mitte 1993 durch eine Konferenz der Clan-Ältesten beendet wurde. An seinen Folgen trägt Somaliland noch heute schwer.

Sahra Ibrahim Hussein deutet auf eine Ruine: Hier stand früher das Nationaltheater.

Es ist nur eine von Husseins Aufgaben, Gäste durch das Land zu begleiten und ihnen einen Eindruck von den Problemen Somalilands zu vermitteln. Eigentlich ist die 44jährige zuständig für Frauenangelegenheiten beim United Nations Development Programme (UNDP). In Zusammenarbeit mit den Frauenorganisationen versucht sie, mittellosen Frauen dabei zu helfen, beispielsweise mit traditioneller Handarbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder jungen Mädchen, die wegen des Krieges keine Schule besuchen konnten, Bildungsangebote zu vermitteln.

Auch gegen die noch immer sehr verbreitete Beschneidung von Mädchen kämpfen Hussein und ihre Mitstreiterinnen. Dabei legt sie Wert darauf, nicht als Feministin angesehen zu werden. Auch Polygamie findet sie in Ordnung. Gerade in einer Zeit, wo Männer sowieso Mangelware sind, müsse man doch teilen können. Trotzdem ist in Somaliland Polygamie sehr selten. Mehr als eine Frau zu haben, ist für kaum einen somalischen Mann erschwinglich.

Husseins Mann ist vor über einem Jahr gestorben. Deshalb könnte sie es sich jetzt überhaupt nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Mit 700 US-Dollar im Monat verdient sie zwar weit mehr als durchschnittliche SomaliländerInnen, aber von dem Geld muß sie nicht nur sich selbst und ihre fünf Kinder durchbringen, sondern auch ihren Neffen, zwei Hausmädchen, den Schwager und die Cousine. „Das Geld ist knapp“, sagt sie. Es ist eine Feststellung, keine Klage. Sahra Ibrahim Hussein sieht optimistisch in die Zukunft ihres Landes: „Ich bin voller Hoffnung.“

Eigentlich müßte die Muslimin in der Öffentlichkeit verschleiert sein, und das Haus sollte sie in der Regel auch nicht verlassen. So würde es zumindest die moslemische Staatsreligion fordern.

Sahra Ibrahim Hussein trägt lediglich ein buntes Kopftuch, um ihre Haare zu verdecken, ihre Fingernägel sind rot lackiert, ihren Gesprächspartnern schaut sie genau in die Augen. Wenn es die Umstände verlangen, müsse man eben flexibel sein, findet sie. Und die Umstände verlangen es.

Somaliland ist ein Land der Frauen geworden. Der jahrelange Bürgerkrieg hat viele Opfer gefordert. Die meisten davon waren Männer. Jetzt liegt der Wiederaufbau des Landes in besonderem Maße in den Händen der Frauen. „Wir sind zur Zeit diejenigen, die den Lebensunterhalt unserer Familien verdienen. Also müssen wir auch in den politischen Entscheidungsprozeß eingebunden werden“, fordert die UNDP-Mitarbeiterin.

Die Republik Somaliland gibt es eigentlich gar nicht. Kein Land der Erde erkennt den kleinen Staat mit zwei bis drei Millionen EinwohnerInnen an, der sich 1991 vom übrigen Somalia abgespalten hat. Dabei waren die beiden Somalias schon vor der gemeinsamen Zeit unter Siad Barre unterschiedliche Wege gegangen. Während Südsomalia in der Hand der Italiener war, wurde das kleine Fleckchen im Nordwesten britisch kolonisiert. Doch diese Vergangenheit kümmert die internationale Gemeinschaft heute wenig. Die Staatsgrenzen in Afrika sind in den Augen des Auslandes unantastbar. Fängt man einmal damit an, neue Grenzen in Afrika zu ziehen, so fürchten besonders andere afrikanische Staaten, bricht der ganze Kontinent auseinander. Allerdings haben westliche Diplomaten vor Ort auch andere Befürchtungen: Sie sehen die Stabilität in Somaliland durch die internationale Isolierung gefährdet.

Die SomaliländerInnen haben es im Gegensatz zu Südsomalia geschafft, innerhalb weniger Jahre ein stabiles und funktionstüchtiges Staatswesen aufzubauen. Dazu haben auch zahlreiche ehemalige Emigranten beigetragen. Viele SomaliländerInnen sind aus den USA oder Europa zurückgekehrt, um am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken. In der Regierung und Verwaltung arbeiten etwa 50 Somalis mit amerikanischem Paß.

„Wir haben unsere Probleme gelöst“, sagt Dahir Royal Kahil, Vizepräsident der Republik. Das einzige Problem, das das Land noch habe, sei die fehlende Anerkennung durch die Vereinten Nationen. „Obwohl wir friedlicher sind als die anderen Länder in Ostafrika, werden wir nicht anerkannt. Die denken, wir sind Mogadischu.“

Dabei will man in Somaliland mit Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia, wirklich nichts mehr zu tun haben. 1960, nachdem die Briten ihre Kolonie aufgegeben hatten, war Somaliland bereits einmal unabhängig – fünf Tage lang. Aber damals hat man einen großen Fehler begangen, so sieht es die Führungsschicht von Somaliland zumindest heute. Man hat sich aus freien Stücken dem Süden angeschlossen. Alle Somalis in einem großen Staat zu vereinigen, das war damals der politische Traum. Somalia, Somaliland, Djibouti, Ostäthiopien und Nordostkenia – das alles hätte zu einem Staat zusammengefaßt werden sollen.

Was blieb, waren Somalia und Somaliland unter Herrschaft eines Diktators.

„Der Traum der SomaliländerInnen war die Vereinigung, aber für Somalia war es eine Annexion“, sagt Dahir Royal Kahil.

Die Regierung arbeite gerade an einer Verfassung nach amerikanischem Vorbild, wolle ein Multiparteiensystem einführen und bereite allgemeine Wahlen vor. „Spätestens nächstes Jahr würden sie stattfinden“, versichert Kahil. An Zuversicht scheint es in Somaliland nicht zu fehlen.

Auch Sahra Ibrahim Hussein sieht optimistisch in die Zukunft des Landes: „Ich bin voller Hoffnung.“

Dominik Baur ist Journalist, er lebt und arbeitet in München.

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